Novecento – Die Legende vom Ozeanpianisten
Von 1927 bis 1933 hat der Trompeter Tim auf dem Ozeandampfer „Virginian“ mit dem besten Pianisten aller Zeiten in der Bord-Jazzband gespielt. Tim erzählt uns die Geschichte von Danny Boodman T.D. Lemon Novecento, der als Waisenkind auf dem Schiff gefunden wurde und nie von Bord ging. In komischen und tragischen Episoden begegnen uns Mannschaft und Passagiere, die ganze Welt ist an Bord zu Gast. Das Schiff wird zur Metapher für das Leben.
Alessandro Bariccos 1994 erschienener Monolog wurde zum Welterfolg und 1998 von Giuseppe Tornatore mit Musik von Ennio Morricone verfilmt.
Nun kommt der Ozeanpianist in einer Neuinszenierung aus dem Hofspielhaus München mit dem Schauspieler und Musiker Henry Arnold auf den Pfefferberg. Eine poetische Seereise mit einer unvergesslichen Geschichte.
Trailer
26.11.2023 SZ
Henry Arnold bringt in dem Solostück "Novecento – die Legende vom Ozeanpianisten" eine poetische Seereise zum Klingen.
Von Barbara Hordych
Es hat ja immer einen besonderen Charme, wenn jemand durchschnittlich begabtes von einem höchst begabten, ja genialischen Menschen erzählt: Er oder sie verfügt über genügend Talent und Urteilsvermögen, um das Genie zu erkennen, aber nicht über ausreichende Fähigkeiten, um diesem das Wasser reichen zu können. Aber immerhin über Empathie und Vorstellungskraft genug, um das Leben dieses genialischen Menschen heraufzubeschwören. Ein Kunstgriff, der schon bei Miloš Formans "Amadeus" bestens funktionierte - hier war es der Wiener Hofkomponist Salieri, der vom Schicksal seines Zeitgenossen Mozart berichtete.
Im Fall von "Novecento - die Legende vom Ozeanpianisten", das jetzt im Hofspielhaus Premiere hatte, ist es der Trompeter Tim, der aus dem fiktiven Leben seines Freundes Danny Boodman T.D. Lemon Novecento berichtet - eines virtuosen Pianisten, mit dem er in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren auf dem Ozeandampfer "Virginian" in der Bordkapelle spielte.
Die beiden Freunde wie auch alle weiteren Personen vom bärbeißigen Schiffskapitän über den pragmatischen Maschinisten-Adoptivvater bis hin zum historisch existierenden, aber fiktiv konkurrierenden "Erfinder des Jazz" Jelly Roll Morton werden alle von einem einzigen Darsteller, von Henry Arnold verkörpert. Für den Schauspieler (bekannt aus Edgar Reitz' "Heimat"-Filmreihe ) und studierten Pianisten eine Herausforderung, die er in der Regie von Georg Büttel mit beeindruckender Vielseitigkeit, Verve und Fingerfertigkeit löst. Um die Geschichte des italienischen Schriftstellers Alessandro Baricco aus dem Jahr 1994 zu erzählen (die einige Jahre später schon von dem Regisseur Giuseppe Tornatore mit Tim Roth in der Titelrolle und der Musik von Ennio Morricone verfilmt wurde), ist dank Arnolds starker Bühnenpräsenz nicht viel nötig: Auf der kleinen Spielstätte des Hofspielhauses reichen ein Flügel samt Hocker, ein Schiffskoffer und ein Rettungsring.
Dabei ist diese One-Man-Show nichts weniger als eine Philosophie über ein gelungenes - oder gescheitertes - Künstlerleben, je nach Betrachtungsweise. Denn dieser Novecento, geboren und ausgesetzt als Säugling auf dem Ozeandampfer, verlässt diesen nie. Selbst als er es einmal versucht, im Alter von 32 Jahren, kehrt er auf der zweiten Stufe des Stegs um. Viel später, kurz vor seinem Tod, wird er seinem Freund gestehen warum: Beim Blick auf die Stadt New York sei ihm klar geworden, dass diese "kein Ende" habe. Und eine Beschränkung brauche er, so wie die Tasten auf seinem Flügel auf die Zahl 88 begrenzt seien, die Ausmaße des vertrauten Ozeanriesen ihm Grenzen setzten.
Stattdessen kommt die Welt zu ihm, in Gestalt der Reisenden der ersten Klasse wie jenen im Unterdeck. Dabei stellt er seine eigenen Betrachtungen an, etwa wenn die Auswanderer nur mit dem sprichwörtlich letzten Hemd bekleidet das Schiff betreten - es aber nach 20 Tagen komplett ausstaffiert wieder verlassen: in der Zwischenzeit schneidern und nähen sie, was das Zeug hält - weshalb am Ende der Reise die Vorhänge und Bettlaken verschwunden sind.
Die Auswanderer aus den vielen verschiedenen Herkunftsländern sind es auch, denen Novecento seine neuen Klänge ablauscht. "Er machte eine Art Musik, die es gar nicht gab", konstatiert sein Freund Tim. Wie die sich anhören könnte, demonstriert Arnold, wenn er zwischendurch immer wieder Platz am Flügel nimmt und das Publikum mit seinem emotionsgeladenen Klavierspiel begeistert - und die poetische Seereise zum Klingen bringt.
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